Datenschutzbeauftragte zum Sicherheitspaket: Pläne der Landesregierung versetzen mich in Alarmbereitschaft

Pressemitteilung der Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit Nordrhein-Westfalen vom 28.10.2024

Die Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit in NRW, Bettina Gayk, sieht die Pläne der Landesregierung für verschärfte Sicherheitsmaßnahmen in Teilen kritisch. Insbesondere die angedachte Erweiterung von Befugnissen für den Verfassungsschutz sowie die Verwendung von Künstlicher Intelligenz zur Gesichtserkennung im Internet hätten tiefe Eingriffe in die Freiheiten aller Bürger*innen zur Folge, die kaum zu rechtfertigen sind.

„Gerade ein möglicher Zugriff des Verfassungsschutzes auf private Videoüberwachungsanlagen versetzt mich in Alarmbereitschaft“, sagt Gayk. „Unsere Verfassung gewährleistet, dass wir uns grundsätzlich unbeobachtet in dieser Gesellschaft frei entfalten können. Wenn ich hinter jeder privaten Kamera den mitbeobachtenden Verfassungsschutz vermuten muss, ist das nach meiner Vorstellung nicht mehr mit dem vereinbar, wovor uns die Mütter und Väter des Grundgesetzes schützen wollten“, betont die Beauftragte.

Die Landesregierung hat vor wenigen Wochen Pläne für ein Sicherheitspaket öffentlich gemacht. Vorgesehen sind unter anderem der Zugriff des Verfassungsschutzes auf private Videoüberwachungssysteme sowie der Einsatz von Gesichtserkennungssoftware im Internet. Außerdem soll Künstliche Intelligenz (KI) als sogenannter „virtueller Ermittler“ die sozialen Medien digital durchstreifen dürfen.

Gayk warnt vor einer politischen Überreaktion. So schrecklich der Terrorakt von Solingen sei, die Landesregierung müsse sich trotzdem ausreichend Zeit nehmen, um Sicherheits- und Freiheitsrechte gegeneinander abzuwägen. „In gewisser Weise ist es fast schon ein Reflex der Politik, nach solchen Einzelvorfällen weitere Befugnisse für Sicherheitsbehörden zu fordern, ohne dass überhaupt systematisch geprüft wurde, was für deren Aufgabenerfüllung erforderlich ist. Fast gar keine Rolle scheint dabei die Frage zu spielen, wo sollen die Grenzen für zusätzliche Befugnisse sein, was ist zu viel, womit rutschen wir in eine Überwachung aller Bürger*innen.“

In einer ersten Einschätzung der geplanten Maßnahmen macht die Beauftragte zahlreiche Problemfälle aus. So wären vom Zugriff des Verfassungsschutzes auf private Videoüberwachung, etwa des öffentlichen Nahverkehrs, täglich Millionen Menschen betroffen, die für ein Tätigwerden von Sicherheitsbehörden überhaupt keinen Anlass gegeben haben. Das enge die Rechte der Bürger*innen auf Schutz ihrer persönlichen Daten viel zu weit ein. „Gerate ich da schon ins Visier des Verfassungsschutzes, wenn ich mich nur versehentlich neben eine unter Beobachtung stehende Person setze? Was ist, wenn ich im selben Sportstudio trainiere und vielleicht sogar dieselben Trainingszeiten habe? Werde ich dann auch vom Verfassungsschutz beobachtet, weil der auf die Kamera zur Überwachung der Spinde zugegriffen hat?“, gibt Gayk zu bedenken.

Daneben müsse man auch hinter den Einsatz von KI zur Gesichtserkennung ein großes Fragezeichen setzen. „Auch das ist eine Maßnahme, die alle betreffen wird, von denen Bilder im Internet kursieren – und die unsere individuellen Freiheiten deutlich beeinträchtigt. Eine eindeutige Trefferquote gibt es bei der Gesichtserkennung nicht, so dass auch Personen mit hoher Ähnlichkeit zu einer gesuchten Person in das Visier von Sicherheitsbehörden geraten können.“ Die Hauptgefahr besteht laut Gayk aber darin, dass das Verhalten aller im Netz dadurch leicht nachvollziehbar wird – auch wenn es keinerlei Vorwürfe gegen sie gibt. „Eine freie Entfaltung der Persönlichkeit, freie Meinungsäußerung im Internet wird durch eine solche Maßnahme erheblich beeinträchtigt, weil zumindest ein Teil der Nutzer*innen nicht mehr so frei Informationen von sich preisgeben wird.“ Bilder, die andere hochladen, seien ein zusätzliches Problem, da dies auch vorsichtige Menschen in den Fokus einer Gesichtserkennungs-KI bringen könne.

Beim Einsetzen von KI gebe es zudem das generelle Problem, dass KI regelmäßig nur mögliche, aber nicht sichere Ergebnisse erzeuge. Es würden Informationen lediglich auf Grundlage von Erfahrungswerten aus den Trainingsdaten erzeugt. „Spürbar wird das für Einzelne, wenn sie allein aufgrund ihrer Daten in einen Verdacht geraten, der den Erfahrungen der Trainingsdaten entspricht, aber nichts mit der realen Person zu tun hat“, warnt Gayk.

Auch den Vorstoß der Landesregierung, die sogenannte Vorratsdatenspeicherung erneut zu regeln, betrachtet die Beauftragte mit Skepsis. „Ich mahne zur Vorsicht, denn wir werden für die Dauer der Speicherung in unseren Internetaktivitäten identifizierbar, auch wenn es keinen Anlass für ein Eingreifen von Sicherheitsbehörden gibt. Eine solche Möglichkeit birgt ein nicht zu vernachlässigendes Missbrauchspotential. Ein viel differenzierteres Bild zur Erforderlichkeit der Vorratsdatenspeicherung hat der Leiter der Cybercrime-Stelle bei der Generalstaatsanwaltschaft Köln in einer Bundestagsanhörung gezeichnet. Eine sorgfältige Prüfung, ob das wirklich notwendig ist, würde ich mir auch von der Landesregierung wünschen“, so Gayk. „Denn man stellt die Bevölkerung im Grunde unter einen Generalverdacht, potentiell Straftäter zu werden.“

Zum Sicherheitspaket und dem Thema KI in der polizeilichen Arbeit äußert sich die Landesbeauftragte auch in der aktuellen Ausgabe des WDR-Landesmagazins Westpol.